Wie wäre es, mit einem Partner Karate zu trainieren, der niemals müde wird, dessen Leistung konstant hoch bleibt, der sowohl in Größe als auch Qualität angepasst werden kann?
Diese Vorteile bietet das Training mit einem sogenannten Avatar in der virtuellen Realität. Dabei entfällt das Verletzungsrisiko durch Fremdverschulden, die eigene Ausdauer und Antizipationsfähigkeit – das heißt Vorhersehen von Aktionen des Gegners - verbessern sich und fehlende Trainingsgegner werden kompensiert.
Um diese Vorstellung eines virtuellen Karateka zu realisieren, investiert der Lehrstuhl Sport und Technik / Bewegungswissenschaft an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg unter der Leitung von Prof. Dr. Kerstin Witte bereits mehrere Jahre in eine Studie, welche zunächst die antizipatorischen Cues - Schlüsselreize, die eine Reaktion hervorrufen - realer Karatekas untersucht hat.
Durch die Mithilfe dreier wettkampferfahrener Karatekas des HKC Magdeburg-Barleben e.V. aus dem Karateverband Sachsen-Anhalt e. V. wurden Bewegungsanalysen erstellt, aus denen mehrere Avatare entwickelt und später zu einem zusammengefügt wurden. Im nächsten Schritt wurde der Avatar einem Realitätscheck unterzogen, den die drei Modell-Karatekas dank der technischen Ausstattung des Fraunhofer IFF Magdeburgs Virtual Development and Training Centre (VDTC) durchführten.
Nach der Verbesserung des Avatars, stellten sich ihm ab Februar 2017 15 Kaderathleten des „Hatsuun Jindo“ Karate-Club Magdeburg-Barleben e.V.. Ihr Trainer, Stephan Walsleben, verlegte das Wettkampftraining für zweimal sechs Wochen in die sportlichen Einrichtungen der Otto-von-Guericke-Universität, sodass eine lückenlose Rotation der Probanden, ohne Verlust an Training gewährleistet war. Unter Aufsicht und Rückkopplung des erfahrenen Karatetrainers und Sportwissenschaftlers Dr. Peter Emmermacher, standen die noch jungen Wettkämpfer mittels einer HMD-Brille ihrem VR-Gegner zwischen zehn bis fünfzehn Minuten gegenüber. Die Brille ermöglichte die dreidimensionale Wahrnehmung des Avatars und seiner wechselnden Angriffe, auf welche die Probanden in kürzester Zeit mit einer adäquaten Technik reagieren sollten.
Dabei konnte der virtuelle Gegner auf männliche und weibliche Karatekas angepasst werden und im Schwierigkeitsgrad variieren. Das Feedback der Probanden wurde mit standardisierten Fragebögen nach jeder Trainingseinheit erfasst und durch die Sportwissenschaftler der Universität, M. A. Katharina Petri, Dipl-Sporting. Falko Eckardt und M. A. Susann Weichelt ausgewertet.
Das erfreuliche Zwischenfazit der Studie lautet, dass durch das VR-Training eine signifikante Verbesserung der Athleten hinsichtlich ihres karatespezifischen Reaktionsvermögens und der Bewegungsqualität auftraten:
Angriffe wurden früher erkannt und Konter schneller und früher eingeleitet. Zum Ende des Avatartrainings hatte sich die Qualität der Athleten dahingehend verbessert, dass sie, aus wettkampfspezifischer Sicht, eher punkten konnten. Demgegenüber war die Verbesserung der Kontrollgruppe zwar auch gegeben - ein praktisches Karatetraining wäre sonst nicht zielführend-, jedoch nicht in dem Maße, wie nachweisbar beim VR-Training.
Am Ende der Studie waren unter Testbedingungen die Mehrheit der Probanden (86%) in der Lage, mit einem direkten Konter auf die Angriffe zu reagieren. Von den Athleten befanden 93% das VR-Training als nützlich für das Reaktionstraining im Karate, da es die Aufmerksamkeit und Konzentration steigert und hilft, die relevanten Signale der Angriffstechniken zu erkennen.
Dabei sollte nicht vernachlässigt werden, dass das Trainieren in einer „neuen Umgebung“ den Testpersonen viel Spaß gemacht hat und mit Freude am Training die Lust und Motivation steigen. Die nächsten Phasen der Studie werden sich mit der Erweiterung des Repertoires des Avatars beschäftigen und der Frage nachgehen, wie das fehlende haptische Feedback ausgeglichen werden kann.
Bereits jetzt ist jedoch absehbar, dass VR ein sinnvolles Trainingstool ist, welches nicht nur Abwechslung schafft, sondern auch ein sehr planmäßiges Üben von Reaktionen bietet. Vom selbständigen Kumitetraining des Einzelnen, bis hin zum trainergestützten, individuellen Arbeiten, ist die neue Technik anwendbar.
Text und Bilder: HKC